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Mit dem Kajak durch Lettlands Wildnis

Samstag 8 Uhr. Mitten in Riga werden wir an unserem Hotel abgeholt, der Fahrer lässig mit Schirm Käppi und langem Pferdeschwanz, das Kajak aufs Autodach geschnallt. Wir brechen auf zu unserer 10 tägigen Kajaktour durch Lettlands Wildnis. 

Eagle Rock, Gauja Nationalpark
Eagle Rock, Gauja Nationalpark

Tag 1 Gaujana

Wir starten gegen Mittag in Gaujana mit dem Kajak, 260km liegen vor uns. Die Sonne lacht vom Himmel, die Strömung treibt uns abwärts Richtung Ostsee. Fröhlich paddeln wir los. Eine Stunde später sieht es dann schon ganz anders aus, der Himmel ist bedeckt mit tiefgrauen Wolken. Wenig später fängt es an zu regnen. Erst nur ein bisschen, dann ein bisschen mehr. Regenhose und Regenjacke sind zum Glück in Reichweite verstaut und so trotzen wir dem Wetter. 5 Stunden und 38 km paddeln wir. Die Gauja fließt entlang der Grenze, auf der linken Seite liegt Lettland, rechts liegt Estland. Kurve um Kurve schlängelt sich der Fluss zwischen den beiden Länder. Kurz nachdem die Gauja sich wieder Lettland zuwendet und Estland hinter uns liegt, finden wir einen kostenfreien einsamen Zeltplatz für die Nacht. Relativ unspektakulär im Vergleich zu den Plätzen in Estland, gibt es hier nur eine Bank und eine Toilette, kein Feuerholz. Macht nichts. Nach einem Topf Couscous und einem Bier liegen wir um 20 Uhr im Zelt und schlafen. 

Tag 2 Irgendwo im Nirgendwo

Trotzdem die Sonne bereits um 4 Uhr früh am Himmel steht, zieht es uns nicht vor 8 Uhr aus dem Zelt. Gemütlich wird gefrühstückt, dann geht's es ab ins Kajak und wir fahren weiter. Die Gauja fließt durch einsame Wald- und sumpfige Weidelandschaft. Heute ist es kühl. Es regnet nicht, ist aber etwas ungemütlich. Nach 30 km und 4.5 Stunden finden wir eine Campspot und machen bereits um 16 Uhr Feierabend. Blaubeeren und Steinpilze finden wir leider noch nicht, dafür jede Menge Holz, sowie Birkenrinde und Harz als Anzündhilfe. Schnell brennt ein munteres Feuer, das auch die Schnacken davon abhält uns aufzufressen. Gegen 20 Uhr geht es wieder ins Zelt, draußen ist es kalt und nass, drinnen gemütlich. 

Tag 3 Nirgendwo bis Irgendwo mit Halt in Strenci

Tag 3, die Sonne lacht am Himmel. Die Gauja schlängelt sich weiter durch den Wald. Birken, Fichten und Eichen dominieren die Wälder. Holunderbüsche und Gräser blühen am Uferrand. Mittags erreichen wir das Dorf Strenci. Hier füllen wir unsere Wasservorräte auf. Abends legen wir dann an, an einem Campplatz, den man bezahlen muss. 10 Euro kostet es uns, dafür sind wir aber die einzigen Gäste, haben einen wunderschönen Platz unter einer Eiche am Ufer der Gauja und warmes Wasser zum Duschen. Nach 7 Stunden paddeln und 50 km Strecke haben wir uns das auch reichlich verdient. 

Tag 4 Über Valmiera zum Eagle Rock

Am nächsten Morgen werden wir beim Frühstück bereits von Schnacken ausgesaugt. In der Sonne lässt es sich aber aushalten. Und davon haben wir ab jetzt reichlich - es folgen Tage mit 16 Stunden Sonnenschein und über 30 Grad.

Bereits nach einer Stunde erreichen wir Valmiera, einen kleinen Ort an der Gauja. Wir parken unser Kajak vor dem Ort und auch noch vor der Kajak-Sport-Übungsstrecke. Valmiera wurde mehrfach zerstört und wieder aufgebaut und hat somit auch nur wenige historische Gebäude. Martin freut sich über die Ruine der Burg des livländischen Ordens. Die Kirche, St. Simon, gefällt uns sehr. Sie ist weiß und schlicht, drinnen riecht es nach frischen Blumen. Wir steigen auch auf den Turm, hier haben wir einen guten Blick auf die Stadt und natürlich die Gauja. Anschließend essen wir in einem Bistro. Es gibt in solchen Restaurants mittags immer eine Art Buffet, man kann sein Essen individuell zusammenstellen und alles wird abgewogen. Damit gestärkt geht es zurück ins Kajak, es erwarten uns zwei Whitewater Abschnitte und noch 5 Stunden und 40 km. Kurz nach Valmiera beginnt auch der offizielle Nationalpark. 


Abends finden wir einen der schönsten Plätze überhaupt, den Eagle Rock. Von der Abendsonne wird der rote Fels angestrahlt und leuchtet. Wir liegen noch bis 22 Uhr in der Sonne am Strand bevor wir dann auch ins Zelt kriechen. 


Tag 5 Pausentag in Cesis

Am nächsten Morgen frühstücken wir auf einer Aussichtsplattform über dem Eagle Rock, die wir von unserem Strand über einen kleinen Wanderweg erreichen. Danach geht es weiter bis zu einem Zeltplatz kurz vor Cesis. Die Paddelstrecke ist so kurz, dass der Tag als Restday gelten kann 😅.


Wir binden unser Boot an einen Baum und laufen los. Zuerst wollen wir zu den Sarkanas cliffs, ein großer roter Fels im Wald. Auf dem Weg dorthin kommen wir noch an einer Wasserquelle vorbei, die heilende Wirkung haben soll. Hier kommen uns die Menschen mit 5 Liter Kanistern Wasser entgegen, manche tragen bis zu 6 Kanister! Naja, für Midsummer bei dem auch das Schlechte des vergangenen Jahres verbrannt wird, ist es sicherlich gut auch die zweite Jahreshälfte mit Heilwasser zu beginnen. 

Wir laufen weiter nach Cesis. Die Stadt liegt nicht direkt am Fluss und so sind wir zu Fuß mehr als 1 Stunde unterwegs.

In der Stadt essen wir in einem kleinen Kafejnica zu Mittag. Als Vegetarier bekomme ich Erbsenstampf und Salat, es schmeckt wunderbar, viel besser als es klingt.

Die Stadt selbst hat einen kleinen Marktplatz, eine große Kirche und vor allem eine große Burgruine. Zu Cesis schreibe ich einen eigenen Bericht, die Stadt und das Flair haben uns begeistert und ein Besuch lohnt sich.

Nach Mitternacht erreichen wir unseren Zeltplatz wieder und kriechen müde ins Zelt. Diesen Platz teilen wir uns mit einem estischen Pärchen und ein paar Jugendlichen aus Cesis, die in den Midsummer Tag hineinfeiern. Trotzdem ist die Lautstärke OK und mit Oropax schlafen wir hervorragend. 

Tag 6 Midsummer bei Sigulda

Trotz der langen Nacht starten wir früh. Vor uns liegen 42 km nach Sigulda. Dort möchten wir Midsummer feiern. Die Gauja schlängelt sich fröhlich durch den Nationalpark, sie wird etwas schmaler und führt durch ein kleines Valley. Immer wieder sieht man die roten Felsen, in die Besucher seit hunderten von Jahren ihr Namen eingraviert haben. Außerdem nisten die Schwalben gerne in diesen Felsen, um dann über das Wasser zu schwirren und Mücken und Libellen zu jagen.

Auf dem Wasser sind wir nicht länger alleine. Wir sehen viele Kajaker im Wasser, der Abschnitt zwischen Cesis und Sigulda ist beliebt. Die meisten treiben gemütlich vor sich hin, trinken Bier und angeln. Heute sehen wir auch überall an den Ufern Menschen, die Barbeques an den vielen offiziellen und inoffiziellen Feuerstellen machen und Midsummer mit Freunden und Familien feiern. 


Auf dem Zeltplatz angekommen, hüpfen wir erstmal in die Gauja und erfrischen uns. Um die Ecke ist ein kleines Bistro, wo wir Cider trinken und Janu siers essen, einen traditioneller Kümmelkäse, den es nur zu Midsummer gibt.

Danach genießen wir einfach das Midsummer Fest und Feuer auf dem Zeltplatz, in die Stadt Sigulda zieht es uns heute nicht mehr. Ich flechte mit aus Wiesenblumen eine Kranz. Er ist lange nicht so prächtig, wie einer der Letten*innen, aber mir gefällt er. Die Letten*innen flechten Kräuter und Blumen mit heilender Wirkung ein. Die Kränze des alten Jahres und damit alles Schlechte was passiert ist, werden im Midsummer Feuer verbrannt. 

Tag 7 Unsere kleine Insel

Wir trödeln uns durch den Vormittag. Im hinteren Speicher des Bootes, wo wir unser Essen lagern, hat sich Wasser angesammelt. Wir müssen es ausräumen, trocknen und neu verstauen. Zum Glück haben wir alle trockenen Lebensmittel (Haferflocken, Couscous, etc) in wasserdichten Zip Beuteln und uns ist nicht durchs Wasser kaputt gegangen. Wir besuchen außerdem die nahe am Zeltplatz gelegene Gutmannhöhle. Diese ist mehr wegen ihrer Inschriften als ihrer Erscheinung bekannt. Eine der ältesten Gravuren aus dem 17ten Jahrhundert  finden wir. 


Um diese Höhle dreht sich außerdem die Legende der 'Rose der Turaida'. 

Der Legende nach, stellten zwei Männer einer jungen Frau nach und lockten sie in diese Höhle. Sie bat die Männer, sie zu verschonen und bot ihnen stattdessen ein Zaubertuch an. Der Träger dieses Tuches sei unverwundbar. Da die Männer ihr nicht glauben wollten, bat sie es auszuprobieren. Sie stachen auf die Frau ein und sie verstarb noch in der Höhle, jedoch ohne vorher vergewaltigt zu werden. Die Männer erkannten die List und flohen in den Wald. Sie verfielen dem Wahnsinn. 

Gutmannhöhle bei Sigulda
Gutmannhöhle bei Sigulda

Mittags sitzen wir endlich im Kajak und paddeln weiter. In Sigulda machen wir kurz Pause und essen Mittag. Es gibt eine Burgruine und ein schönes Schloss, auf dessen Besuch wir allerdings verzichten. 

Die Sonne brennt erbarmungslos vom Himmel. Die Gauja bietet wenig Anlegeplätze, um kurz anzuhalten und zu schwimmen oder sich zu erfrischen. Mit ihren vielen Strudeln und Strömungen ist sie ein zu gefährlicher Fluss, um außerhalb gekennzeichneter Badeflächen ins Wasser zu gehen. Im Kajak verblüffen uns schon die plötzlichen Richtungsänderungen des Bootes durch Strömung oder Strudel, als Schwimmer hat man hier kaum Chance.


Noch immer sind die meisten Plätze zum Zelten belegt und wir warten noch auf die beste Gelegenheit für ein einsames Nachtlager. Als wir nach 20 km eine kleine Insel umfahren und die schönen ebenen Sandflächen sehen, legen wir schnell an. Das ist unsere einsame kleine Insel, auf der wir die Nacht verbringen. Um uns dennoch ein Bad in der Gauja zu ermöglichen ziehen wir unser schweres Wanderkajak komplett an Land und binden ein Seil daran. An diesem halten wir uns fest während wir ins Wasser gehen. Trotz der starken Strömung erreichen wir so immer wieder das Ufer.


Eigentlich wollen wir in dieser lauen Nacht biwakieren, die Nacht unter freiem Himmel verbringen. Leider finden uns auch hier blutrünstige Moskitoschwärme und so bauen wir um 23 Uhr in Windeseile unser Zelt auf. Mehr als 5 Minuten brauchen wir dafür inzwischen nicht mehr, die Zeit wissen aber die Mücken gut zu nutzen. 

Tag 8 Die Gauja mündet ins Meer

Die Insel bietet keinen Schatten und so kochen wir um 8 Uhr morgens im Zelt bereits. Nach einem schnellen Frühstück mit Porridge, frischen Blaubeeren und Kirschen springen wir daher schon wieder, an unserem Seil, in die Gauja. Das tut gut und wir planschen bis mittags.

Die letzten 20 km ziehen sich. Der Fluss wird breiter, die Strömung lässt nach und die Sonne brennt vom Himmel. Am Nachmittag erreichen wir den Abholort und werden etwas traurig. So schön war es auf der Gauja. Trotzdem freuen wir uns auch auf den Rest unseres Urlaubs.


Wir schlafen in einer Hütte an dem wunderschönen Campingplatz Leiputrija. Ein langsamer Einstieg zurück in die Zivilisation. Wir packen wieder aus den wasserdichten Beutel unsere Sachen zurück in die Reisetasche und essen zum Abend Heringssalat mit Kartoffeln aus dem Feuer. Einen schöneren Ausklang können wir uns nicht wünschen. 

Fazit, Facts and Figures

Die ersten drei Tage durch die Wildnis haben uns am Besten gefallen. Es waren kaum Menschen unterwegs wir hatten wirklich ein Gefühl von Freiheit und Einsamkeit. Diese Kajakwanderung kann ich uneingeschränkt weiterempfehlen! 

Statt 10 Tagen waren wir nur 8 Tage unterwegs, davon ein Pausentag. Dabei waren wir recht entspannt unterwegs, wir sind aber immer gepaddelt und haben uns nicht nur treiben lassen. Heißt, wenn ich von 5 Stunden paddeln spreche, haben wir auch aktiv 5 Stunden gepaddelt. Dazu hat der hohe Wasserstand der Gauja und damit die stärkere Strömung geholfen. Die Gauja ist ein Anfängerfluss, auch mit wenig bis keiner Kajak-Erfahrung ist sie gut machbar. Trotzdem sollte man für die 260 km von Gaujana bis zur Mündung in der Ostsee 10 Tage einplanen. 
Die Gauja wird zumindest ab Gaujana nicht unterbrochen. Nicht ein einziges Mal müssen wir umtragen, treideln oder durch eine Schleuse. Das ist in Europa leider sehr selten, daher genießen wir diese Wanderung umso mehr. 
 

Der Kajak Vermieter war Kanoegauja. Wir waren super glücklich damit. Nicht nur, dass der Kontakt unkompliziert und freundlich war, sie waren auch sehr flexibel hinsichtlich unserer Verkürzung der benötigten Paddelzeit. Wir wurden in Riga abgeholt und auch dort wieder hin gebracht, konnten uns ohne zusätzliche Bezahlung wasserdichte Säcke ausleihen und netterweise Gas für unseren Campingkocher bekommen und konnten im Supermarkt anhalten und so die letzten Besorgungen stressfrei erledigen.

Wasser hatten wir in Kanistern dabei und regelmäßig aufgefüllt. Flusswasser haben wir nur zum Abwasch und Duschen benutzt, abkochen und trinken wollten wir es nicht und die Not war nicht groß genug 😅. Essen hatten wir wie gewohnt dabei, nur mit etwas frischem Obst und Gemüse erweitert. Leider waren wir, Ende Juni, etwas zu früh für Blaubeeren und Steinpilze, sonst hätten wir diese zuhauf an unseren Campingspots gefunden. Mitte Juli sollte es beides bereits geben. 

Unser Kajak haben wir für die Stadtbesichtigungen immer kurz vor der Stadt 'geparkt' und nur Wertgegenstände mitgenommen. Es kam nie etwas weg. So konnten wir in aller Ruhe und ohne schlechtes Gefühl die Städte anschauen.